Interview mit Ingrid Pointecker zu ihrem aktuellen Buch „Herbstsplitter“
erstellt von: HOMO Littera | Kategorie(n): Interviews
„Ingrid Pointecker“ hat uns zu ihrem aktuellen Buch „Herbstsplitter“ ein Interview gegeben
Hallo Ingrid. Dein soeben erschienener Roman „Herbstsplitter“ handelt von zwei starken Frauen, deren Liebe zueinander sie auch in den schwierigsten Situationen kämpfen lässt. Netai, eine der Protagonistinnen, altert aufgrund einer Verletzung über Nacht um viele Jahre, die ihr von dem Prinzen des Königreiches zugefügt wurde. Folglich beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Was hat dich dazu inspiriert, diesen Roman zu schreiben? Wie bist du auf diese Idee gekommen?
Ingrid: Die ursprüngliche Idee war eine Kurzgeschichte, die ich über eine ganz andere Figur des Romans geschrieben habe, nämlich Vahrir. Je abenteuerlicher die Geschichte wurde, desto mehr habe ich mich selbst nach einer ganz anderen Heldenrolle gesehnt, die dem Ganzen noch fehlte. Ab dem Moment waren es dann zu viele Ideen für eine Kurzgeschichte.
Wie hat deine Umgebung reagiert, als du einen lesbischen Fantasyroman geschrieben hast?
Ingrid: Eigentlich gab es keine nennenswerten Reaktionen auf diesen Umstand. Wer mich kennt, wusste schon lange zuvor, dass Liebe für mich keine Geschlechtsfrage ist. Die Verwirrung meiner Umgebung bezog sich dann eher darauf, dass die romantische Komponente ziemlich viel Platz im Buch bekommen hat, was für meine Geschichten untypisch ist.
Wie sieht dein Schreibprozess aus? Entwirfst du den kompletten Plot oder schreibst du einfach drauflos? Brauchst du Ruhe um dich, wirfst du alle aus dem Raum oder kannst du unter allen Bedingungen „Geschichten erfinden“?
Ingrid: Ich arbeite mit sehr wenig Plot, erschaffe aber die Charaktere sehr detailliert mit Steckbriefen. Sobald sie lebendig werden, ist in jeder Szene klar, wie sie reagieren, und die Geschichte erzählt sich im Idealfall quasi von selbst. Schreiben kann ich immer und überall, wobei ich auf Musik dabei nicht verzichten kann.
Im Buch geht es vor allem um Gerechtigkeit und die unbesiegbare Liebe, die sogar dem Alter und dem natürlichen Verfall strotzen soll. Glaubst du, dass „wahre Liebe“ ewig halten kann? Auch noch im hohen Alten, wenn die Jugend längst verblasst ist?
Ingrid: Ich glaube, dass es in keinem Alter Garantien auf die ewige Liebe geben kann. Beziehungen erfordern Arbeit und manchmal Krisenresistenz. Aber ich glaube an die Magie zwischen zwei Menschen, die sich finden und alles daran setzen, die Liebe nicht vergehen zu lassen.
Wie auch in deinen anderen Veröffentlichungen kreierst du gern neue Fantasywelten und entführst den Leser in dein erschaffenes Reich. Woher nimmst du deine Ideen? Hast du dafür bestimmte Inspirationen?
Ingrid: Selbst wenn das seltsam klingt, aber meine gesammelten Inspirationen entnehme ich einer Hutschachtel. In der sammle ich seit frühester Kindheit alles, was mich gedanklich an andere Orte zu bringen vermag. Teilweise sind es aber auch Menschen, bestimmte Songs oder Träume, die sich zu spannenden Welten verarbeiten lassen. Mit der Zeit kam bei mir noch das theoretische Fundament des Weltenbaus dazu, also das Erstellen von Karten am Computer oder das intensive Studium von tatsächlich vorhandenen Landschaften.
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Wie sehen deine Recherchen aus, bevor du ein Buch schreibst?
Ingrid: Eigener Kopf, Internet und Bibliothek – meistens auch in dieser Reihenfolge. Und ich beobachte wahnsinnig gern Menschen und deren Verhalten.
„Herbstsplitter“ ist zwar nicht deine erste Veröffentlichung, aber es ist bis jetzt dein einziger lesbischer Roman. Glaubst du, dass es schwieriger ist, homosexuell zu schreiben als heterosexuell? Denkst du, dass es Nachteile für Schriftsteller gibt, die in diesem Bereich tätig sind?
Ingrid: Diese Frage erfordert eine kleine Korrektur meinerseits. Es ist der erste lesbische Roman, bei dem ich mich getraut habe, ihn an einen Verlag zu schicken. Vom Schreibstandpunkt finde ich nicht, dass homosexuelle Geschichten schwieriger zu schreiben sind. Liebe hat für mich viel mit Leichtigkeit, Humor und Persönlichkeit zu tun, denn ohne diese Dinge wären mir Beziehungen viel zu traurig. Und all diese Eigenschaften sind geschlechtsunabhängig. Für Schriftsteller gibt es sicher Nachteile, gerade da viele auch noch anderweitig berufstätig sein müssen und Schikanen fürchten. Toleranz ist leider nicht so weit verbreitet, wie man es sich wünscht.
Deine Protagonisten Syen und Netai sind lesbisch. Viele andere Charaktere in „Herbstspliter“ bevorzugen die gleichgeschlechtliche Liebe. Glaubst du, dass du mit deinem Buch dazu beiträgst, die Öffentlichkeit toleranter zu machen? Haben es lesbische Frauen in der Öffentlichkeit leichter als schwule Männer?
Ingrid: Ich hoffe es sehr, dass ich damit Menschen erreichen kann, die sich vielleicht auch noch gar keine Gedanken zu der Thematik gemacht haben. Meine Intention ist es ja auch, lesbische Liebe (und Homosexualität allgemein) als das darzustellen, was sie ist, nämlich in meinen Augen eine völlig gleichberechtigte und selbstverständliche Art der Liebe. Lesbische Frauen haben es zwar auf den ersten Blick vielleicht leichter, weil ein gewisses Klischee bedient wird, wie es vor ein paar Jahren auch durchaus in der Musikszene präsent war. Schwule Männer haben dafür in meinen Augen den Vorsprung, dass sie schon länger offensiv für ihre Rechte kämpfen. Frauen waren in der Vergangenheit leider nicht so präsent, mittlerweile finde ich den Unterschied aber nicht mehr so groß.
Momentan gibt es immer wieder Diskussionen in den Medien über die Gleichstellung von homosexuellen Paaren. In Österreich gibt es mittlerweile die sogenannte „eingetragene Partnerschaft“. Warum denkst du, bezeichnet man sie nicht wie bei heterosexuellen Paaren als „Ehe“? Warum sind schwule und lesbische Pärchen nur „verpartnert“ und nicht verheiratet?
Ingrid: Ein sensibles Thema, das sicher schwierig in wenigen Worten abgehandelt ist. Leider hat hier meiner Meinung nach der religiöse Anteil, der immer noch im System Staat verankert ist, eine Menge zu Vorurteilen beigetragen. Der Begriff „Ehe“ wird auf eine Art und Weise mystifiziert, die auch geschiedenen Heterosexuellen oder Wiederverheirateten teilweise große Probleme bereitet. Für mich sind auch meine „verpartnerten“ Freunde „verheiratet“ und ich wünsche mir, dass hier möglichst zeitnah ein Wandel stattfindet, der diesen Unterschied, der keiner ist, beseitigt.
Du lebst in deiner Wahlheimat Wien. Glaubst du, dass es lesbische Frauen und schwule Männer in einer großen Stadt wie Wien leichter haben als in einem Dorf oder in einer Kleinstadt in ländlichen Gegenden?
Ingrid: Wien ist manchmal auch nur eine Ansammlung von dreiundzwanzig Dörfern. Dementsprechend glaube ich, dass der Unterschied nur oberflächlich ist. In der Stadt findet man zwar einfacher einen Partner, egal welcher sexuellen Orientierung, dafür überrascht es mich manchmal, wie sehr man sich in der Landbevölkerung täuschen kann. Einfach ist es sicher in beiden Bereichen nicht, da die engere Gemeinschaft immer noch den Begriff „Normalität“ diktiert.
Wir bedanken uns recht herzlich für das Interview und wünschen dir weiterhin viel Glück und Erfolg!
„Herbstsplitter“ ist seit November im Buchhandel und in den meisten Online-Shops erhältlich.