Interview mit Stephan Klemann zu seinem aktuellen Buch „LAVAT – Gefährliche Liebe“
erstellt von: HOMO Littera | Kategorie(n): Interviews
„Stephan Klemann“ hat uns zu seinem aktuellen Buch „LAVAT – Gefährliche Liebe“ ein Interview gegeben
Hallo Stephan. Dein aktueller Roman „LAVAT – Gefährliche Liebe“ ist vor Kurzem in den Handel gekommen. Kannst du dein Buch kurz vorstellen und uns sagen, wie die Idee zum Buch entstanden ist?
Stephan: In meinem neuen Buch geht es um die Liebe zweier junger Männer im Iran und die Ablehnung einer solchen gleichgeschlechtlichen Liebe in diesem Land vor dem Hintergrund der dortigen Religion, Gesellschaft und Politik. Auch das Problem der „Familienehre“ spielt eine Rolle, und zumindest das hat ja auch bei uns in Deutschland oft einen gravierenden Einfluss auf den Umgang von Eltern mit ihren homosexuellen Kindern.
Inspiriert zu diesem Buch hat mich die tragische Geschichte zweier Jugendlicher im Iran (16 und 18 Jahre alt), die 2005 aufgrund ihrer Liebe zueinander erst grausam gefoltert und dann öffentlich gehängt wurden. Diese Gräueltat hat mich derart geschockt und beeinflusst, dass ich mich dazu entschieden habe, dieses Thema in einem Buch zu verarbeiten.
LAVAT beinhaltet eine sehr schwierige Thematik, die nicht immer auf positive Resonanz stößt. Jedes Aufzeigen von Begebenheiten im Iran, wie man dort mit Homosexuellen umgeht, kann dir negativ angelastet werden. Wir finden es deshalb sehr mutig, sich trotzdem dem Thema zu widmen und die Problematik aufzuzeigen. Glaubst oder hoffst du, vielen Menschen damit die Augen zu öffnen?
Stephan: Ich wünsche mir mit jedem Thema, das ich in meinen Büchern verarbeite, dass die Leser – und insbesondere die schwule Community – über ihr eigenes Selbstverständnis nachdenken. Ich schreibe mit Absicht nicht die üblichen Liebesgeschichten oder Coming-Out-Stories. Von denen gibt es in einschlägigen Verlagen mehr als genug. Ich hoffe immer noch, dass es eine ausreichende Gruppe von Lesern gibt, die sich eben für mehr interessiert als für seichte Erotik.
Gerade bei „Lavat“ ist mir bewusst, dass dieses Thema nicht ganz ungefährlich für mich ist. Steht auch jetzt noch zwischen dem Buch und dem kritisierten Regime die Sprachbarriere, so muss ich doch damit rechnen, dass eine Reise in den Iran für mich mit erheblichen Risiken verbunden, wenn nicht gar gefährlich sein würde. Das sind mir aber das Thema und seine Bedeutung wert. Wir Deutsche wissen nur zu gut, dass Schweigen aus Angst zu viel größeren Problemen führen kann.
LAVAT ist zwar eine erfundene Geschichte, aber viele Sachen im Buch sind wahrheitsgetreu und bis ins letzte Detail recherchiert. Wie lange haben die Vorbereitungen zum Buch gedauert und wie bist du bei deiner Recherche vorgegangen?
Stephan: Die vorbereitenden Recherchen haben weit über 3 Monate gedauert. Leider hatte ich nicht die Möglichkeit, vor Ort im Iran zu recherchieren. So war ich auf verschiedenste Quellen im Internet angewiesen. Dort habe ich mir das Wissen über die Religionslehre, das Strafrecht und die gesellschaftlichen Normen angeeignet. Ich habe Details des iranischen Strafgesetzbuches recherchiert und mir über Fotos und andere Kartendienste einen Überblick über die örtlichen Gegebenheiten in Teheran verschafft. Besonders zeitraubend war die „Planung“ von Rashnos Fluchtroute von Teheran nach Köln. Hier habe ich mögliche Verkehrsmittel, deren Route, Preise und Zeiten sowie Landschaftsbeschreibungen entsprechend der Route herausgesucht. Der Teil, der in Köln spielt, war für mich als „Einheimischer“ natürlich recht einfach.
Zudem habe ich in einschlägigen schwulen Chats mit Schwulen in Teheran gesprochen und dort viele Informationen über das „ob und wie“ schwulen Lebens vor Ort erhalten. Zu einigen von ihnen habe ich auch heute noch Kontakt.
Du widmest dein Buch zwei jungen Männern, die aufgrund ihrer Sexualität gehängt wurden. Auch im Moment berichten Medien, dass in manchen Ländern nach wie vor die Todesstrafe auf Homosexualität steht. Die Anzahl der Hingerichteten ist massiv hoch – von der Dunkelzahl nicht zu sprechen. Oft fühlen wir uns in Europa hilflos, gegen die Tragödien etwas zu bewirken. Glaubst du, dass man auch aus der Ferne etwas bewerkstelligen und erreichen kann?
Stephan: Das glaube ich auf jeden Fall. Denn nichts ist weniger hilfreich, als diese Zweifel zu nutzen, um nichts zu tun. Natürlich können wir in Europa nicht die Fehlinterpretationen mancher Islam-Vertreter beseitigen (das gelingt uns ja auch nicht bei den christlichen Dogmen in Europa), genauso wenig können wir Extremisten, egal welcher Religion oder Nationalität, auf den „humanitären Pfad“ zurückzwingen. Aber wir können durch Kenntnisnahme der Probleme, dem Verständnis der Lage von Schwulen in solchen Ländern und einem veränderten Eigen-Verhalten als „Community“ unsere eigene Öffentlichkeit in Deutschland und Europa, und damit vielleicht eines Tages auch die Politik, entsprechend beeinflussen. Ich kämpfe immer noch vehement für einen Weg vom „Drogen-Party-Sex-Image“ der Schwulen hin zu einem globalen Denken und Eintreten für wirklich wichtige Ziele.
Du erwähnst in deinem Buch die Organisation „Amnesty International“, die deinem Protagonisten Rashno bei seiner Rehabilitierung helfen soll. In seiner Abwesenheit wurde er im Iran zum Tode verurteilt. Wie in deinem Roman erreicht die Hilfsorganisation im wahren Leben nicht die gewünschte und erhoffte Herstellung der Menschenrechte. Woran glaubst du, liegt das? Warum stößt die Organisation so oft auf Granit und ist machtlos?
Stephan: Ich denke, Amnesty International hat nicht den Stellenwert als Schützer von Menschenrechten, den sie haben sollte. Dass Länder, wie zum Beispiel der Iran, sich über deren Ziele hinwegsetzen, ist noch relativ offensichtlich. Allerdings glaube ich auch, die Organisation findet selbst in Europa und Amerika nicht die Anerkennung und Unterstützung, die sie haben sollte. Viele humanitäre Organisationen „leiden“ darunter, dass man mit ihren Zielen kein Geld verdienen kann, und sie in manchen Fällen eher als „Umsatzverhinderer“ gesehen werden. Wie so oft wird die Beachtung von Menschenrechten immer wieder infrage gestellt, wenn die hierfür notwendigen Maßnahmen potentiell Arbeitsplätze gefährden. Geschäft im eigenen Land ist für viele immer noch wichtiger als misshandelte oder getötete Menschen anderswo.
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Viele deiner Leser von LAVAT sind über die zum Großteil sehr detaillierte Beschreibung der Folterszenen in deinem Roman erschrocken. Warum hast du so viel Wert darauf gelegt, die Sache nicht zu verschönern?
Stephan: Das hat einen einfachen Grund – eigentlich sogar zwei: Zum einen ist es die Realität, und die wird in den Medien leider immer wieder technisch unkenntlich gemacht oder gar verschwiegen, um mit der Grausamkeit dieser Wirklichkeit nicht das Abendessen der Familie oder die vermeintlich heile Welt zu stören, und zum anderen, weil genau diese Schonungslosigkeit dazu führt, dass man über diese Szenen – und damit das gesamte Problem – spricht. Das ist wie bei Erotik: Reine Andeutungen interessieren keinen; pornographische Darstellungen fesseln jeden. Das ist in etwa wie bei einem Autounfall auf der Autobahn: Jeder findet es abscheulich, aber dennoch sehen alle hin. Und damit schafft man Öffentlichkeit, die für dieses Thema so wichtig ist.
Aufgrund deiner ausführlichen Schilderungen im Buch liegt beim Lesen die Vermutung nahe, dass du mit Betroffenen, die wegen ihrer Sexualität aus ihrem Heimatland geflüchtet sind, gesprochen hast. Inwieweit sprechen Asylbewerber über die Verfolgung in ihrem Land? Oder fürchten sie über die Grenzen hinweg die Gesetze ihres Heimatlandes?
Stephan: Leider hatte ich nicht die Chance, mit Asylbewerbern, die aufgrund der Verfolgung oder Misshandlung wegen ihrer sexuellen Orientierung nach Deutschland gekommen sind, zu sprechen. Das mag daran liegen, weil solche Schwule schwer zu finden sind. Denn einerseits haben sie auch bei uns vielleicht die Angst vor einer Verfolgung (weil sie nie etwas anderes kennengelernt haben), oder sie stecken in dem Dilemma zwischen ihrer kulturellen/ethnischen Herkunft und dem Wunsch nach freier Selbstentfaltung. Auch ein Iraner möchte vielleicht nicht seine Wurzeln verleugnen, ist vielleicht auch stolz auf sein Land und seine Kultur, und ist daher „sparsam“ mit Kritik.
Asylbewerber, die aufgrund ihrer Sexualität im eigenen Land verfolgt werden, müssen oft auch hier in Europa lange auf die Bewilligung ihres Antrages warten. Oftmals werden sie auch wieder abgeschoben. In deinem Roman darf dein Protagonist Rashno bleiben – er findet auch schnell Anschluss in Deutschland. Glaubst du, dass das Verfahren des Asylmeldeamtes mehrfach zu bürokratisch ist?
Stephan: Bürokratisch: ja! Zu aufwendig: nein!
Leider gibt es auch heute noch viel zu viele Asylbewerber, die mit den Asylregeln der Länder Missbrauch treiben. Insofern ist eine genaue Prüfung im Einzelfall notwendig und richtig.
Jedoch gibt es Länder, die bekannt dafür sind, Homosexuelle zu unterdrücken, zu foltern oder gar hinzurichten. In solche Länder dürfen solche Menschen meines Erachtens nicht ohne Weiteres zurückgeschickt werden. Asylbewerber aus solchen Ländern (z.B. Iran, Ägypten, Indonesien, Saudi Arabien, Russland, u.a.) dürfen nicht einfach zurückverfrachtet werden mit dem Argument, sie könnten ihre Homosexualität ja verbergen. Und dabei geht es meines Erachtens nicht nur um Gefahren für Leib und Leben. In Russland zum Beispiel wird Homosexualität nicht bestraft; aber ein freies Leben in Liebe und Selbstentfaltung ist dort für Schwule und Lesben (und Transgender, Intersexuelle, etc.) nicht möglich. Diese seelische Folter, sich ständig verleugnen zu müssen, muss im Asylbewerbungsprozess auch eine Rolle spielen. Wir sonnen uns im Licht der individuellen Selbstentfaltung und verlieren nur allzu oft den Blick für die Probleme der Menschen, die diese Gunst nicht genießen können.
In „Lavat – Gefährliche Liebe“ habe ich den Prozess der Asylbeantragung absichtlich nicht zu „bürokratisch“ und langwierig beschrieben. Mir ist bewusst, dass solche Anträge in der Realität viel zeitaufwendiger und komplizierter sind. Aber mir ging es auch nicht um die realitätsnahe Darstellung bürokratischer Akte, sondern um die Geschichte von Rashno.
Du planst bereits eine Fortsetzung zu LAVAT. Wirst du dort das Thema „Asylantrag“ erneut aufnehmen? Kannst du deinen Lesern schon ein paar Kleinigkeiten verraten?
Stephan: Es wird nicht um den Asylantrag als solchen gehen. Vielmehr wird die Fortsetzung von Rashnos emotionaler Aufarbeitung der Erlebnisse in seinem Land und dem Verhalten seiner Familie handeln. Der Verlust seiner ersten großen Liebe Hamid wird ebenfalls eine Rolle spielen.
Auch die Fortsetzung wird in zwei Segmenten stattfinden: einmal in Deutschland und dann wieder im Iran, wo es um die familiäre Situation gehen wird. Interessant wird das glaube ich deswegen, da Rashno nicht in den Iran einreisen kann, weil dort die Vollstreckung des gegen ihn bestehenden Todesurteils droht. Es werden auch bekannte Charaktere aus dem ersten Teil eine Rolle spielen. Ich verspreche den Lesern eine erneute fesselnd dramatische Entwicklung. Als besonderes „Bonbon“ denke ich zurzeit, am Beginn der Konzeption, über die Darstellung zweier alternativer Enden nach. Jeder Leser soll sich aussuchen können, wie Rashnos Geschichte enden wird.
Du fühlst dich nicht nur im Genre des Dramas wohl, sondern scheust auch nicht schwierige Themen. Auf was dürfen sich deine Leser neben der Fortsetzung von LAVAT freuen?
Stephan: Ich fühle mich keiner festen Kategorie zugehörig. Ich schreibe über die Themen, die mich bewegen, und von denen ich denke, sie könnten auch die Leser interessieren. Ich habe bereits eine Kriminalgeschichte fertiggestellt; eines meiner ersten jemals geschriebenen Werke. Des Weiteren habe ich auch einen historischen Roman fertig, der im alten Rom spielt. Außerdem habe ich ein Buch beendet, in dem es um den Zwiespalt zwischen (christlichem) Glauben und dem Entdecken der eigenen Homosexualität geht. Dies ist eine Fantasygeschichte, in der es um die Rückkehr eines Verstorbenen als Engel geht.
Und zu guter Letzt habe ich eine Idee, in der es um einen schwulen Polizisten gehen wird.
Wir bedanken uns recht herzlich für das Interview und wünschen dir weiterhin viel Glück und Erfolg!
„LAVAT – Gefährliche Liebe“ ist seit Juli im Buchhandel und online erhältlich.